O du fröhliche …


Zum Glück“, dachte er, „sie schläft. Oder stellt sich schlafend.“
Er war gerade nach Hause gekommen. Automatisch war er so leise wie möglich vorgegangen. Nicht in erster Linie aus Rücksicht, sondern um lästige Fragen aus dem Weg zu gehen. Erfahrungsgemäß herrschte am Morgen danach das übliche Schweigen, wie immer geladen mit unausgesprochenen Vorwürfen, mit misslungenen Versuchen, drängende Fragen in einem vertrauensvollen Ton anzusprechen und mit verbalen Verrenkungen, die eine ehrliche Antwort umsegelten. Schon länger herrschte zwischen ihnen eine Gefühlsblockade. Er konnte sich nicht dazu durchringen, ehrlich über seine Gefühle zu sprechen. Sie hatte es aufgegeben, ihn zur Lösung des Hauptproblems anzuregen. Bei alldem war die Angst vor den Konsequenzen ein starkes Hemmnis.

Vor etwa ein dreiviertel Jahr war eine neue Kollegin zu seiner Abteilung hinzugekommen. Sie war noch relativ jung und er fand sie sehr attraktiv. Es kamen leise Wünsche und Vorstellungen über ein intimes Abenteuer auf; eine nicht unübliche Regung, die aber aufgrund herrschender Moral und leiser Gewissensappelle in den Hintergrund verschwand. Das Anstandsgefühl tat seine korrektive Wirkung. Er bekam die Aufgabe, sie in ihre Funktion einzuarbeiten. Somit verbrachten sie relativ viel Zeit in engerem Kontakt. Es blieb nicht aus, dass sich private Themen in die Gespräche einflochten. Zuerst waren es nur die üblichen Fakten über Familienstand, Freizeitbeschäftigungen und Vorlieben. Er spürte schon bald den stärker werdenden Drang, sie näher kennenzulernen. Der Wunsch nach einer sexuellen Beziehung meldete sich ausgeprägter, auch wenn er noch von moralischen und praktischen Überlegungen zurückgehalten wurde. Seine Ehe war nicht schlecht, aber es hatte sich, wie nicht selten der Fall ist, eine Abstumpfung eingeschlichen, eine Ermüdung über die tagtäglich wiederkehrenden Pflichten und eine partielle Entfremdung. Bestimmte Themen wurden nicht mehr angesprochen, da es keine Einigung gab. Sie gingen sich in gewisser Weise aus dem Weg. Diese Entfremdung wirkte sich auch auf ihr Liebesleben aus. Er war immer schon etwas gehemmt und unsicher gewesen, konnte nicht frei über seine intimen Gefühle reden. In seinem tiefsten Innern rumorte der Wunsch nach Geborgenheit, danach, sich anzukuscheln und keine Stärke zeigen zu müssen. Sein Verstand sagte ihm, dass er diese Geborgenheit bei seiner Frau hätte finden können, wenn er nur fähig gewesen wäre, seine Wünsche offen mitzuteilen. Die alles überragende Angst vor einen Kontrollverlust, dafür ungeschützt zu sein, sich auszuliefern, hielt ihn davon ab. Seine Kindheit hatte ihn gelehrt, sich nie in eine bedingungslose Abhängigkeit zu begeben.

Seine Frau atmete tief und regelmäßig. Sie lag, teils aus einem Gefühl der Ablehnung, teils um einfacher vortäuschen zu können, dass sie schlief, mit dem Rücken zu der Bettseite ihres Mannes,. So ließ sich die schmerzhafte Frage nach der Wahrheit vermeiden. Dass die Angelegenheit eines Tages geklärt werden musste, war ihr klar. Sie hatte aber Angst vor den vielen Konsequenzen. Die schleichende Abkühlung und die Tabuisierung vieler Themen hatten sie gelegentlich verzweifeln lassen. Die Sprachlosigkeit war wie eine Gummiwand, an die alle Versuche, die Blockaden zu lösen, abprallten. Sie hatte nicht die Kraft, die schmerzhaften Konsequenzen zu ziehen, aber auch nicht die Energie, die vorherrschende Situation ins Positive zu wenden.

Es war passiert. Die betriebliche Weihnachtsfeier war, wie in jedem Jahr, ungezwungen über die Bühne gegangen. Die Belegschaft teilte sich in zwei Gruppen: diejenigen, die unbeschwert an allem Schabernack und dem fröhlichen Durcheinander teilnahmen und diejenigen, die eher eine beobachtende Rolle einnahmen. Zu seiner Überraschung gehörte die junge Kollegin ebenso wie auch er der zweiten Gruppe an. Als die Feier zu Ende ging und sich die Gesellschaft auflöste, überraschte sie ihn mit der Frage, ob er sie nach Hause bringen könne. Ihr Verhältnis hatte sich im Laufe der Zeit zu einem vertrauten, fast freundschaftlichen Umgang entwickelt, bei dem die Zuneigung gewachsen war. Flüchtige Berührungen gehörten zu dem Spiel dazu, auszuprobieren, wo die jeweiligen Grenzen lagen. Dabei hatte seine Kollegin sich weder schüchtern noch aufdringlich gezeigt. Er hatte das Gefühl, dass sie sich sehr souverän auf dem Gebiet des Flirts bewegte und ein gewisses Maß an Intimität herausforderte. Dass sie jetzt eine so unmissverständliche Einladung auszusprechen schien, überraschte ihn dann doch. Als sie bei ihrer Wohnung angekommen waren, lud sie ihn ohne Umschweife ein, mitzukommen. Während sie ins Haus hineingingen, drängten sich mehre Fragen und widerstrebende Gefühle auf.

Seine Frau hatte sich im Großen und Ganzen mit der herrschenden Situation arrangiert. Als Ausgleich für die gefühlsmäßige Isolation unternahm sie öfter Ausflüge mit einer Freundin oder mit einer Gruppe, die ihre Interessen teilte. Da konnte sie, wie sie sagte, auftanken. Diese Kontakte ergänzten das tägliche Zusammenleben mit ihrem Mann, das im Übrigen nicht nur aus Trübsal bestand. Auch sie beiden unternahmen einiges und trafen Freunde und Bekannte. Die eher ruhige und zurückgezogene Art ihres Mannes war ihr aber nicht genug, wenn es um soziale Kontakte ging. Einige gemeinsame Unternehmungen hatten auch die Hoffnung auf mehr Spontaneität und Teilnahme am Gemeindeleben geweckt. Wenn auch bei ihrem Mann eine gewisse Öffnung zur Gemeinschaft bemerkbar war, brauchte sie die vielfältigen Begegnungen mit anderen Menschen. Sie waren unbedingt notwendig für ihr seelisches Gleichgewicht. Bei den Gesprächen mit ihren Freundinnen zeigte sich recht schnell, dass ihre Situation keine Ausnahme war. Fast überall kriselte es zwischendurch. Die männliche Psyche zeigte sich in mancher Hinsicht als ein rätselhaftes Gebilde, zu dem Frauen keinen Zugang hatten. Allerdings lag die Vermutung auf der Hand, dass der umgekehrte Fall ebenso zutraf. Bei einigen Bekannten hatten die Probleme zu einer Trennung geführt, bei einer anderen stand eine solche zur Disposition. Sie hatte eine Affäre angefangen und kämpfte mit sich um eine Lösung.

Die Unkompliziertheit und Zielstrebigkeit, mit der seine Kollegin vorging, zog ihn in den Strudel der Ereignisse mit. Der Wunsch, mit ihr zu schlafen, wurde durch den von ihr ausgesprochene Einladung bestärkt. Ihm huschte neben Fragen wie die, ob sie die Pille nahm, die bekannte Zeile aus Goethes Fischer durch den Kopf: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Er musste kurz grinsen, war sich dem leicht zynischen Unterton bewusst. Die Ereignisse folgten einander dann mit einer dermaßen Geschwindigkeit auf, dass er keine klaren Gedanken mehr fassen konnte. Ihre Umarmung besiegelte den Lauf der Ereignisse.

„Und wie war die Weihnachtsfeier?“, fragte seine Frau am Morgen. Eine ehrliche Antwort erwartete sie nicht. „Ist wohl spät geworden“, sagte sie noch.

In lockerer Reihenfolge werde ich hier über meine Aktivitäten Auskunft geben, Texte, Gedichte, Sprüche und Bilder veröffentlichen, die neben den Beiträgen auf meiner Homepage den aktuellen Stand meiner Tätigkeiten wiederspiegeln.

Ich hoffe, die Beiträge machen neugierig auf mehr.